Prof. Harald Riedel:
Systemische Didaktik

Beispiel bewusste Imitation

Beispiele zur bewussten Imitation als nachvollziehendem Lernen:

1  Bewusst imitierendes nachvollziehendes Lernen einer Information:

 

“Höhenlinien 1”

 

Die bewusste Imitation ist jener Lernprozess, durch welchen in Schule und Hochschule am häufigsten Informationen   gelernt werden. So ist der Großteil von Lehrbüchern (sofern sie nicht auch als Anwendungs- oder Übungsbücher dienen sollen), derart aufgebaut, dass die Leser genau dem Gedankengang des Autors folgen, ihn nachvollziehen, also bewusst imitieren sollen.

Der Nachvollzug wird natürlich erleichtert, wenn die zu vermittelnde Information (wie im Beispiel zur Technik des Palsteks) in Elemente gegliedert wird, deren Informationsgehalt unterhalb der Bewusstseins-Kapazität der Lernenden liegt. Bedingung ist, dass diese Elemente in sachlogischer Reihenfolge dargestellt werden. Das folgende Beispiel aus einem Sachkunde-Buch für das 4. Schuljahr, anhand dessen Schüler die Höhendarstellung in topographischen Karten erkennen sollen, illustriert dies sehr gut: 

HöhenlinienNachvollziehend

"Der Abstand vom Fuß bis zum Gipfel beträgt bei dem Berg auf der Skizze 588 m, senkrecht gemessen.
Nun wissen wir aber noch nicht, wie hoch das Dorf oder die Burg auf dem Berg liegen. Um das zu erfahren, unterteilen wir den Berg in einzelne Abschnitte, in Höhenschichten.
Jede Höhenschicht ist von zwei Höhenlinien begrenzt.
Den Verlauf der Höhenlinien können wir so ermitteln: Zunächst steigen wir bis zu einer bestimmten Höhe, z.B. 100 m, den Berg hinauf. Dann gehen wir stets in 100 m Höhe um den Berg herum. In kurzen Abständen markieren wir Stellen, die auf gleicher Höhe liegen, mit Pfählen oder Fähnchen. Diese verbinden wir durch eine lange Schnur mit-einander. Die Schnur stellt die Höhenlinie in 100 m Höhe dar.
Auf der Karte ist der Berg so gezeichnet, wie wir ihn senkrecht von oben sehen. Die Höhenlinien führen in Ringen um die Bergspitzen herum.
Sie sind nicht überall gleich weit voneinander entfernt, denn die Abhänge sind verschieden steil und verschieden lang. Wo die Linien nahe beieinander liegen, ist der Abhang steil. Wo sie weiter voneinander entfernt sind, ist er flach."

grün

Der folgende Vergleich zeigt,
dass nachvollziehendes Lernen viel anspruchsvoller ist,
wenn es aufgaben-gesteuert verläuft:

2. Bewusst imitierendes aufgaben-gesteuertes Lernen einer Information:

 

“Höhenlinien 2”

Auf der nächsten Stufe der Selbständigkeit liegt das aufgaben-gesteuerte Lernen. Das anschließende Beispiel zum selben Unterrichts-Objekt „Höhenlinien“ deutet an, wie die bewusste Imitation im aufgaben-gesteuerten Unterricht aussehen könnte:

HöhenlinienAufgabengesteuert


Die Schüler erhalten nach einer geeigneten Einführung, am besten in Form einer Problemstellung, die sich beispielsweise anlässlich einer Wanderung durch  bergiges Gebiet ergibt, eine Folge von Aufträgen. Sie sollen nacheinander folgende Schritte selbständig ausführen:

  • Plastilinplatten verschiedener Farben übereinander stapeln und zu einem Block zusammenzufügen, 
  • anschließend einen „Berg“ mit einem flacheren und einem steileren Abhang daraus schneiden, 
  • eine Glasplatte über den „Berg“ legen  und mit geeigneten Filzstiften die (durch die senkrechte Projektion sichtbaren) „Höhenlinien“ nachzeichnen,
  • die Bereiche zwischen den Höhenlinien entsprechend den Farben der Plastilinschichten färben,
  • die Höhenlinien auf Transparentpapier übertragen,
  • die gewonnenen Kenntnisse auf eine einfache Karte mit Höhenlinien anwenden..

Hinsichtlich des Grades an Bewusstheit hat sich gegenüber dem ersten Beispiel nichts verändert. Auch hier ist sich der Lernende des Operations-Objekts, der einzelnen Operations-Ziele und des Weges bewusst.

Verändert  hat sich allerdings der Grad an Selbständigkeit.

Im ersten Beispiel erreichte der Lernende die einzelnen Operations-Ziele durch lediglich kogneszierende Operationen, also nachvollziehend, im zweiten Beispiel dagegen durch produzierende Operationen: Durch Auswerten gewinnen sie die Kenntnisse über die Bedeutung und den Verlauf der Höhenlinien. Um die Übertragung auf die Karte zu bewältigen, müssen sie diese Informationen konvergent denkend anwenden. Das aber ist mehr als nachvollziehendes Lernen. Es handelt sich hier schon um aufgaben-gesteuertes Lernen.

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3.   Bewusst imitierendes nachvollziehendes Lernen

 

“Tulpe als Frühblüher”

Frühlüher5MitZwiebel
TulpeUndZwiebelschnitt


Märzenbecher, Schneeglöckchen, Traubenhyazinthe Tulpe und Narzisse blühen alle sehr früh im Jahr. Sie heißen deshalb Frühblüher.
Sie wachsen alle aus einer Zwiebel.

Am Beispiel der Tulpe siehst Du, dass alle Teile der Pflanze schon in der Zwiebel stecken.
Außerdem enthält die Zwiebel Wasser und Nährstoffe.
So kann die Pflanze schon aus der Zwiebel wachsen, wenn es noch sehr kalt ist und die Wurzeln noch keine Nahrung aufnehmen können.

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