Prof. Harald Riedel:
Systemische Didaktik

Beispiel nachvollziehendes Lernen

 

Das nachvollziehende Lernen spielt im täglichen Leben eine große Rolle.

So lernen  wir

  • neue Melodien durch Nachsingen,
  • Gedichte durch mehrmaliges Nachsprechen,
  • Umgangs- oder Begrüßungsformen,
  • sprachliche Eigenarten und Wörter mit veränderter Bedeutung (“super”, “mega”, “geil”),
  • wie wir uns modisch kleiden,
  • wie wir unsere Wohnung einrichten,
  • großenteils sogar, welche Waren wir kaufen.

 

Auch im Schulunterricht wird vieles nachvollziehend gelernt, zu Recht, wenn es um den Erwerb einfacher Techniken geht,

oft sogar unbewusst:

  • Schüler übernehmen Sprachformeln von geschätzten Lehrern,
  • Sie ahmen Bewegungsabläufe bewunderter Fußballspieler nach
  • sie imitieren, wie man ein Reagensglas mit einer Klammer halten soll,
  • wie man Blumen gießt,
  • wie ein Brief zu adressieren ist u.v.m.

 

Leider aber wird in der Schule auch  viel zu oft nachvollziehend gelernt, wenn es gilt, neue Informationen zu erwerben. Denn diese Form des Lernens birgt große Gefahren:

  • Von den Schülern werden nur kogneszierende Operationen verlangt. Produzierende oder gar schöpferische Operationen finden nur zufällig statt.
  • Die Schüler haben keine Gelegenheit, selbständig zu lernen. Bei häufigem nachvollziehenden Lernen führt dies zu großer Unselbständigkeit.

Wo dies geschieht, haben es die Lehrenden zu verantworten. Die Planung und Organisation solchen Unterrichts ist besonders einfach und wenig aufwendig.

 

Für die Bedingungen, die beim nachvollziehenden Lernen herrschen, gibt H. AEBLI (1985, S. 367f) ein anschauliches Bild:

Er vergleicht den Schüler mit einem Bergsteiger, der als Anfänger einen Berg unter der straffen Leitung eines Führers ersteigt. „Physikalisch gesehen hat er (der Anfänger) den Berg zwar selbst erstiegen, d.h. er hat jeden Schritt und jeden Klettergriff selbst ausgeführt. ... Der Führer aber hat ihm den Weg gewiesen, ist ihm vorangestiegen und hat ihm an jeder schwierigen Stelle genau gesagt, was er tun soll.“

 Für das Erlernen von Informationen ist das nachvollziehende Lernen wegen seiner Anspruchslosigkeit und den damit verbundenen negativen Langzeitfolgen im Hinblick auf eine zunehmende Unselbständigkeit unangebracht, wie es das folgende Beispiel zeigt:

 

Elektrische Leiter und Nicht-Leiter, nachvollziehend

  • Schüler eines 4. Schuljahres sollen lernen, welche Stoffe den elektrischen Strom leiten und welche nicht.
  • Der Lehrende baut einen offenen Stromkreis mit Glühlampe als Anzeiger für den Strom auf und demonstriert anhand von mehreren Gegenständen unterschiedlichen Materials, welche davon leitfähig sind, welche nicht.
  • Lernenden haben die Möglichkeit, in Kleingruppen mit entsprechenden Materialien dieselben Versuche durchzuführen.

Anschließend wird eine Tabelle mit leitenden und nichtleitenden Materialien an der Tafel erstellt und von den Schülern abgeschrieben.
(vgl. dazu, wie das gleiche Unterrichts-Objekt aufgaben-gesteuert gelernt wird).

StromkreisOffen

Gegenstand

Lämpchen leuchtet

Lämpchen leuchtet nicht

Pfennig

 

 

Schnur

 

 

Stein

 

 

Postkarte

 

 

...

 

 

Obwohl die Schüler hier äußerlich aktiv sind, werden sie doch wie ein  “blinder Esel” vom Lehrenden direkt zum Operations-Ziel geführt. Die Lernenden vollziehen lediglich kogneszierende bzw. re-produzierende Operationen. 

 

Dennoch wird nicht nur im Schulunterricht, sondern ebenso in der Hochschule wie in Fortbildungsveranstaltungen großenteils Information auf diese oder ähnliche Weise gelehrt.

 

Weitere Beispiele zum nachvollziehenden Lernen finden Sie auf den Seiten

Beispiele  unbewusste Imitation

und

Beispiele bewusste Imitation”.